DIAGNOSE HEILUNG

Was brauchen wir um zu heilen, persönlich und auch als Gesellschaft?


Drachenreise


Der rotgoldene Drachen 

Ich stehe vor einem gigantischen Berg, ein Vulkan, mächtig und majestätisch, die Spitze in schwarze Wolken gehüllt. Lava fließt an seinen Berghängen herab und die Ströme leuchten in Rot, Gelb und Orange auf dem schwarzen Grund. Alles scheint tot und leblos zu sein und doch ist es voller Verwandlung, Erneuerung. Ein Wegbrennen des Alten, um Platz zu schaffen für Neues. Dieser Boden, der nach dem Brand zurückbleibt, wenn die Lava verschwunden ist, ist besonders fruchtbar und erlaubt neuem Leben zu entstehen. Hier auf diesem heiligen Boden wird es besonders gut gedeihen, gedüngt mit Gestein aus den Tiefen von Mutter Erde. Ich bin alleine an diesem unwirtlichen Ort, das glaube ich zumindest, an einem Ort an dem kein Leben möglich scheint. Doch weit gefehlt! Unter einem riesigen Haufen schwarzen Gesteins sehe ich ein gelbes Auge hervorblicken. Kann das sein, oder bilde ich mir das jetzt ein, frage ich mich? Aber jetzt blinzelt dieses goldene Auge ganz deutlich, etwas bewegt sich unter den Steinen. Einige rollen die Berghänge hinab. Jetzt kommt noch mehr Bewegung in den Berg, es fühlt sich an wie ein Erdbeben, alles wackelt und massenhaft Steine und Geröll purzeln an mir vorbei in den Abgrund. Der ganze Fels scheint zu rutschen. Ich habe keine Angst, das überrascht mich am meisten. Hier scheint die Erde zu zerbrechen, magische Augen blicken mich an, aber ich fürchte mich nicht. Es ist eher Neugier auf das, was gerade um mich herum geschieht. Was passiert hier? So langsam sehe ich einen Kopf, riesig, mit Schuppen bedeckt und einem goldenen Kamm. Goldene große Augen und gigantische Nasenlöcher tauchen aus dem dunkel der Nacht auf. Eine riesige Echse schält sich unter dem Gestein hervor, mit einem rot goldenen Schuppenkleid. Ein Drache wir aus dem Bilderbuch, so bedrohlich und doch so sanft. Er schnaubt dicke Wolken aus seinen Nasenlöchern und streckt seine riesigen Flügel. 

„Wer bist du, warum bist du hier?“ Fragt er. „Ich habe gerade so gut geschlafen“. Er wirkt etwas wütend, weil ich ihn anscheinend geweckt habe, aber eben auch sanft und gutmütig. 

„Ich soll mich häuten“, antworte ich ihm. 

„Häuten, warum sollst du das tun?“

„Ich denke, ich soll mich erneuern“, antworte ich. 

„Erneuern, warum, du siehst doch gut aus. Ich glaube, ich lege mich wieder hin und schlafe weiter, gute Nacht Mädchen.“

Er rollt sich zusammen und schließt die Augen. Ich fühle mich plötzlich so verloren, so einsam hier in dieser Ödnis und nicht einmal ein Drache will mir helfen. Ich weine bittere Tränen und hocke mich auf den warmen Boden von Mutter Erde. Hier finde ich etwas Trost, denn alles fühlt sich warm und heimelig an, obwohl die Umgebung so gar nicht zu diesem Gefühl zu passen scheint. Sie spiegelt eher die Zerstörung als das Leben wider. Ich sitze eine Weile in Selbstmitleid und fühle mich so ausgestoßen und alleine. 

Der Drache scheint mein leises Weinen zu hören, denn er öffnet die Augen und blickt mir direkt in die Seele. 

„Du bist niemals alleine“ er scheint meine Gedanken zu lesen. 

„Komm, steig auf meinen Rücken und ich zeige dir die Schönheit des Lebens, mit der du in jeder Sekunde deines Lebens verbunden bist.“

Ich klettere auf seinen schuppigen Rücken und klemme mich zwischen zwei Spitzen seines Rückenkamms. So kann ich mich wunderbar festhalten, als wir langsam in die Lüfte steigen. Er ist so geschmeidig in seinen Bewegungen, so elegant wie wir durch die Lüfte gleiten. Ich blicke nach unten und es raubt mir fast den Atem. Feuer spuckende Berge, Gelb-orange schießt es in den Himmel. Rot glühend ergießt sich das geschmolzene Gestein über die Abhänge. Alles leuchtet in diesen wunderbaren, warmen Farben. Gold, Rot, Gelb, Orange und teils auch Lila. An manchen Stellen leuchtet es sogar in einem wunderschönen Blau. Eine Explosion nicht nur der Berge, sondern vor allem der Farben. Wir schweben wie ein Helikopter über dem Krater und blicken Mutter Erde direkt in ihr Herz. So viel Wärme, so viel Schönheit. Ich spüre wie ich mich entspanne und die Trauer und Wut über mich selbst und mein Versagen, fällt von mir ab. Hier ist dieses wunderbare Geschöpf aus den Urzeiten der Entstehung und trägt mich auf seinem Rücken, was für ein Geschenk. Ich spüre wie ich mich häuten darf, weggeschmolzen von der Wärme der Liebe wird die alte Haut abgetragen. Es tut aber nicht weh, eher hinterlässt es ein Gefühl von prickeln auf meiner neuen Haut. Immer größer werden die Stellen neuer Haut, neues Leben, neuer Lebensmut und neues Selbstvertrauen. Wer so mächtige Freunde hat, ist niemals ungeschützt und ausgeliefert.

Der Drache setzt zur Landung an, ich steige voller Glücksgefühl von seinem Rücken.

„Selbst in dieser Ödnis findest du Kraft, Energie, Zuversicht, Schönheit und Heilung.“ Spricht er zu mir mit seiner tiefen schönen Stimme.

„Nimm dir eine Schuppe von meinem Herzen, sie soll dir Kraft und Mut schenken auf deinem Weg, der dir sehr schwer und steinig erscheinen mag, der dich jedoch ins Glück führt. Vertraue Mädchen, alles ist so wie es sein soll“ Mit diesen Worten schwingt er sich in die Lüfte und lässt mich voller Dankbarkeit mit einer goldenen Schuppe seines Herzens zurück.