Nur gemeinsam sind wir stark

Ich stehe inmitten eines Dschungels, um mich herum all die wunderbaren Geräusche des Regenwaldes. Zwitschern, laute Rufe der Affen im Geäst und das Krächzen der Papageien. Es ist sehr heiß und vor allem ist es feucht, nebelfeucht. Der Schweiß rinnt mir in Strömen über das Gesicht und meinen Körper und als ich an mir herunterblicke, stelle ich fest, dass ich nackt bin, splitterfasernackt und das mitten im Dschungel, mit all den Insekten und Tieren und hoffentlich keinen Menschen. Denn so ungeschützt möchte ich niemanden gegenübertreten. Ich blicke mich um, Wald so weit mein Auge reicht, Blumen von bezaubernder Schönheit, der Duft des Dschungels und seiner Blätter und die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlt, aber auch Mut und der Kampf ums Überleben. Welcher Samen wird es schaffen, sich nach oben ans Licht zu kämpfen? Was wird aus denen, die es nicht schaffen, war ihre Entstehung umsonst? Frage ich mich. Welchen Sinn hatte ihr kurzes Leben als Schössling auf dem Waldboden? Neben mir steht ein riesiger Baum mit unglaublichen Wurzeln und einer Krone so hoch droben das ich sie nicht mehr sehen kann, ich weiß nicht blüht er gerade oder trägt er Früchte? Welche Blätter trägt er und wie hat er es geschafft so groß zu werden? 

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten.

„Ihr Menschen, glaubt, nur durch den Kampf um einen Platz im Licht, kann man so riesig werden und groß sein ist für euch gleichbedeutend mit Macht und den Platz an der Sonne wiegt ihr mit Geld auf. Ein reicher Mensch, mit Macht und Geld hat es geschafft, etwas aus seinem Leben gemacht. Das Glück war ihm hold, aber ist er deswegen zwangsläufig glücklich und zufrieden?" 

Meine Größe jedoch ist das Werk einer Gemeinschaft, nicht eines Einzelnen. Ohne die kleinen Schösslinge, die sich in Humus verwandeln, ohne die Insekten, die Tiere und ihren Dung, der die Samen verbreitet, ohne die Pilze im und auf dem Boden ist mein Wachstum nicht möglich. Ein Wald ist eine Gemeinschaft und sogar ein vermeintlich alleine stehender Baum ist unterirdisch mit einem Netzwerk an Wurzeln. Pilzen und vielem anderen verbunden. Das alles macht Wachstum erst möglich. In eurer Welt habt ihr noch nicht begriffen, dass genauso ein Netzwerk bereits besteht, ihr alle seid miteinander verbunden, lebt in Symbiose, aber ihr empfindet euch als separat. Alles wäre so viel einfacher für euch, wenn ihr nicht glauben würdet, nur wenn ich so groß und mächtig bin, bin ich angekommen im Licht und Glück. 

Das ist einfach nicht wahr. So groß zu sein, bringt auch viele Gefahren und Risiken. Ich bin oft den Stürmen ausgesetzt, die mich biegen, bis ich fast breche. Ich brauche Nahrung und bei schlechten Bedingungen geht es mir eher an den Kragen als dem kleinen Busch neben mir. Aber in der Gemeinschaft schützen wir uns gegenseitig vor Bruch, Trockenheit und Gefahren. Wenn Fressfeinde (gibt es eigentlich nicht, sind auch ein Teil der Gemeinschaft - aber es ist so anschaulicher für euch) im Anmarsch sind, dann warnen wir uns gegenseitig, sodass zumindest einer oder auch zwei von uns überleben können, indem sie ein Sekret bilden, dass unsere Blätter bitter schmecken lässt. 

Der Kreislauf der Natur ist perfekt und ausgeklügelt, nur ihr Menschen meint immer alles besser zu wissen. Euer Tisch ist reich gedeckt, aber nur die Vielfalt wird euch eine reiche Ernte schenken. Ein Wald mit nur einer Baumart hat keine Chance zu überleben, weil die individuellen Fähigkeiten der anderen Bäume fehlen. Der eine speichert Wasser, der anderen streckt seine Wurzeln tief in die Erde und hält uns fest. So helfen wir uns gegenseitig und bekämpfen uns nicht, auch wenn es im ersten Moment vielleicht danach aussieht. 

Meine 4. Häutung ist diesmal eine psychische und nicht eine physische, aber wie recht er hat der Baumriese neben mir. 

Warum bin ich nackt? Weil du so am ehrlichsten bist. Ihr glaubt, dass, das was ihr euch überstülpt, macht euch aus, aber das ist nicht wahr. Es ist euer Herz und eure Seele, die euch ausmacht und die Person sein lässt, die ihr wirklich seid, nicht irgendwelche Kleidungsstücke oder Statussymbole. Nicht das äußere, sondern das, was ihr im Herzen tragt, macht euch mächtig und wertvoll. Deine Nacktheit ist nur ein Symbol für die Reinheit, aus der alles entsteht. Es ist die Konkurrenz der Äußerlichkeiten, die euch zu Einzelkämpfern macht. Nackt seid ihr alle gleich, ihr unterscheidet euch nur durch kleine äußere Merkmale, wie Nase, Mund, Figur oder Hautfarbe. Ein Wald in Monokultur kann nicht überleben, erinnere dich immer daran. Alleine wer ihr sein wollt im Leben, mit euren Talenten unterscheidet euch. Bündelt ihr euere Fähigkeiten und Unterschiede, so werdet ihr ein Paradies auf Erden erschaffen. Bleibt ihr aber weiterhin der Ansicht, nur wenn ICH alles besitze, riesengroß bin , so wird die menschliche Rasse verkümmern. So einfach ist das. 

Mein kluger Riesenbaum nimmt mich auf und setzt mich in seine Krone. Nicht nur auf dem Waldboden herrscht die Vielfalt, auch hier oben in den Wipfeln gleicht keine Baumkrone der anderen. Ich bin durch die Gemeinschaft groß geworden, aber ich sorge auch für die anderen. Ich biete Nahrung durch meine Früchte, ein Zuhause für Tiere, Vögel und Insekten, ich biete Schutz durch mein Blattwerk, so funktioniert das Leben. Es besteht aus Geben und Nehmen, Konkurrenz dagegen zerstört das Leben und vor allem die Gemeinschaft. 

Wenn ich mein Leben von diesem Standpunkt aus betrachte, erscheint mir alles so sinnvoll und überlegt, alles passt zusammen in Mutter Natur. Natürlich gibt es auch Tod und gefressen werden, aber das im Kreislauf der Natur so vorgesehen und alle Lebewesen, die als Beutetiere leben, leben ihr Leben in Frieden und nicht in ständiger Angst, wie viele Menschen es tun. Hier gibt es nur den einen oder zwei Fressfeinde und nicht eine ganze Reihe von Angst machenden Gedanken, denn das sind die Fressfeinde der Menschen. Wir lernen um zu wachsen in Harmonie miteinander, das durfte ich heute von meinem Baum lernen. Du musst nicht die Größte sein und Größe zu zeigen, nicht die auffälligsten Blüten tragen, um schön zu sein, nicht die schmackhaftesten Früchte tragen, um Beachtung zu finden, dein Leben trägt immer zur Entwicklung aller Menschen bei, besonders dann, wenn du Empathie und Herz zeigst, denn das ist das Wachstumselixier des Lebens und der Liebe. Sei du selbst und nicht der Nachbarbaum oder das Gänseblümchen, sei etwas, was es noch nicht gibt - DU. Individualität ist der Schlüssel zum Erfolg.