DIAGNOSE HEILUNG

Was brauchen wir um zu heilen, persönlich und auch als Gesellschaft?


ausgelöscht

Ich wurde gelöscht

Heute bin ich gelöscht - ausradiert - weggeworfen worden.

Claudia hat mich aus ihrer What´s App Gruppe gelöscht - ich habe es schriftlich - „Claudia, hat dich entfernt“, heißt es da - ganz pragmatisch - emotionslos - HAT DICH ENTFERNT!

Was bedeutet es „entfernt“ zu werden? Es bedeutet nicht mehr wichtig zu sein, das versetzt uns einen Stich mitten ins Herz. Ich wurde ausgestoßen aus der Gemeinschaft - Claudias Gruppe - ich bin dort nicht mehr erwünscht. Aber wir fragen uns nicht wieso - wir ziehen sofort unsere Schlüsse daraus; „Sie hat mich noch nie leiden können, ich bin einfach nicht gut genug, keiner mag mich“, tönt es in meinem Kopf. Doch ist das wirklich so? Wenn ich mich ansehe - wer blickt mir aus dem Spiegel entgegen? Wen sehe ich da - wer bin ich, warum hat man mich aus der Gruppe entfernt? Ja, wer bin ich eigentlich? Fühle ich mich jetzt so alleine, nur weil man mich gelöscht hat? Ist mein Leben so wie ich es mir immer erträumt habe oder renne ich, wie viele Andere, den Vorgaben der Gesellschaft hinterher? Bin ich abhängig vom Urteil der Masse? 2 Millionen Follower auf Facebook oder Instagram - das wäre schon was, dafür würde ich alles tun!

Ich stelle es mir so toll vor - jeden Abend eine andere Veranstaltung, eine Einladung nach der anderen. Reisen in ferne Länder und all diese berühmten Menschen treffen, die mich natürlich jetzt kennen. Ich bin jetzt WER. So jemanden wie mich, würde man niemals aus der Gruppe entfernen. Ich werde unendlich viele Freunde haben, selbstverständlich lebe ich in einer Villa am See und fahre einen Ferrari. Aber wenn ich mich umsehe, sitze ich in meiner 2 Zimmer Wohnung und mein Gegenüber ist nicht der See, sondern ein weiteres Hochhaus und mein Transportmittel der Wahl ist die U-Bahn und kein Ferrari. Mein Facebook Account ist so einsam wie ich - gerade mal 50 Freunde und die meisten habe ich auch nur, weil wir Namensvettern sind. Das Leben läuft an mir vorbei, ich will so sein wie die Anderen, die Erfolgreichen, die Beliebten. 

Vielleicht kann ich anfangen zu singen, eine Schauspielerin werden oder wenigstens eine berühmte Köchin. Ganz egal, ich will berühmt sein. 

Blöd nur, daß ich als Kassiererin im Supermarkt arbeite und gar nicht kochen kann. Aber es muss doch etwas geben, damit ich beliebt, reich und somit auch glücklich werden kann. Sportstar, vielleicht? Nein, zu anstrengend, aber es gibt mir die Möglichkeit gesünder zu werden und einen tollen Körper zu haben. Ich stehe dann ganz oben auf dem Siegerpodest, höre die Nationalhymne und die Welt jubelt mir zu.  Ah, was für ein tolles Gefühl! Dann entfernt mich niemand mehr aus seiner Gruppe.

Aber wenn ich ehrlich bin, hüpfe ich eher wie ein Mehlsack, bin schnell wie eine Schildkröte und auf die vielen Süßigkeiten müsste ich dann auch verzichten, doch eher blöd. Jeden Tag Training und meinen Körper im Spiegel zu sehen, ich glaube, das ertrage ich dann doch nicht. 

Verdammt, es muss doch etwas geben, was mich berühmt werden läßt. Ich könnte GURU werden, schare Millionen Menschen um mich, predige Weisheit, Liebe und bin erleuchtet. Das geht aber auch schon wieder nicht, denn die einzige Weisheit, die mir jeden Tag begegnet, ist der tägliche Spruch auf meinem Abreißkalender. 

Oder noch besser, ich bin einfach nur schön und nach der neuesten Mode gekleidet, das genügt heute ja schon um ein Influencer, das ist der moderne Guru, zu sein.

Aber es ist ganz schön anstrengend ein Star zu sein, eigentlich doch nicht erstrebenswert!

Ich sehe es vor meinem geistigen Auge, es gibt jetzt 100.000 Bilder von mir im Netz, alle können sehen wie ich mich am Hintern kratze, in der Nase bohre oder sturzbetrunken auf die Straße kotze. Das sind dann die Momente, die ich lieber alleine genieße, ohne Zeugen und Paparazzi. Als Star kannst du nicht einfach in die Kneipe um die Ecke gehen, denn da warten schon 1000 Fans auf dich und die wollen dir ganz nah sein, kein gutes Gefühl. Du musst dir ständig überlegen, was du sagt oder tust, sonst bricht ein Shitstorm über dich herein. Ich bin dann zu 100% angewiesen auf eine positive Berichterstattung. Und um meine Villa in Ordnung zu halten, brauche ich Personal, denn wer sonst putzt meine 50 Schlafzimmer? Da frage ich mich natürlich, sind die dann alle vertrauenswürdig? Oder finde ich demnächst eine Enthüllungsstory über meinen Faibles für Gartenzwerge in einem dieser  Revolverblätter. 

Schreckliche Vorstellung immer gut aussehen zu müssen, Fitnesstraining, Falten weg spritzen und ob deine Freunde nur hinter deinem Ruhm her sind, das weißt du auch nicht wirklich. 

Was tue ich jetzt bloß, um berühmt zu werden - am besten Nichts! 

Ich bleibe einfach so wie ich bin. Schenke meinen Kunden im Supermarkt jeden Tag mein schönstes Lächeln und helfe meinen Kollegen und Kolleginnen wo ich nur kann. Ich rufe Claudia an und schreie durchs Telefon „Warum hast du mich aus der Gruppe entfernt und so mein ganzes Leben infrage gestellt?“ Sie antwortet mir dann, dass Sie ein neues Handy bekommen und versehentlich alle Kontakte gelöscht hat. Was bin ich doch für ein…. na, Ihr wisst schon was.

Statt ein Sportstar zu werden, gehe ich in dem kleinen Park um die Ecke spazieren und genieße es, die Kinder beim Spielen zu beobachten oder einfach nur die frische Luft zu atmen. Ich bleibe, zum Entsetzen meiner Nachbarn, beim Singen unter der Dusche und ich schenke meinen realen Freunden meine Zeit, höre zu oder tröste. Ich bin einfach da, wenn man mich braucht. 

Es wird weiterhin Spiegeleier geben, ich kann wirklich nicht kochen, aber diese werde ich mit einer essbaren Blüte verzieren, wie im Sternelokal. Meine kleine Wohnung ist weiterhin mein Königreich, denn hier bin ich Zuhause und hier fühle ich mich wohl. 

Und jetzt verabrede mich mit meinen Freunden und freue mich auf einen schönen Abend mit netten Gesprächen. Ach ja, ich finde meine Nachbarschaft übrigens toll, ich habe es geschafft an jeder Haustür zu klingeln und was soll ich sagen, wir kennen uns jetzt. Wenn mich jemand aus seiner Gruppe löscht, dann soll das wohl so sein.

Ich bin, wer ich bin und ich bin es gerne!!!!