DIAGNOSE HEILUNG

Was brauchen wir um zu heilen, persönlich und auch als Gesellschaft?


Mitleid - wer leidet mit?

Neulich, als mein lieber Schatz mal wieder für mich aufgestanden ist, habe ich über das Wort „Mitleid“ nachgedacht. Er als mein Mann empfindet Mitleid für mich, wenn er merkt, wie groß meine Schmerzen sind. Aber was bedeutet es, Mitleid zu empfinden? Mit mir leiden, nach dem Wortsinn aber will ich das, dass er mit mir leiden soll? Nein, aber für viele Menschen ist Mitleid eine Form von Macht. Mitleid ist vielen willkommen. Ich kann ein Lied davon singen. Als 4. Kind meiner Eltern, mit 2 kranken Brüdern hatte ich oft das Gefühl einfach unsichtbar zu sein, so habe ich schon als Kind gelernt, dass ich mit Krankheit und somit Mitleid die Aufmerksamkeit meiner Eltern auf mich ziehen kann. Wenn ich krank bin, darf ich Zuhause bleiben, alleine mit meiner Mutter ohne die anderen. Ich bekomme ihre Aufmerksamkeit, ihr Mitleid. Ich werde verwöhnt und bevorzugt, der Himmel auf Erden für mich. Doch das dies kein Dauerzustand sein kann, war mit schnell klar. Aber das Privileg von Mitleid und der dazugehörigen Aufmerksamkeit begleitete mich fast unbemerkt ein Leben lang. Es ermöglicht dir, dich vor Verantwortung zu drücken, die Schule zu schwänzen und die Menschen um einen herum zu manipulieren. Mitleid ist bequem und leicht verdient. Wer schimpft mit einem bemitleidenswerten Menschen? Wohl kaum jemand und ehe man sich versieht, wird Mitleid zur Sucht damit die Aufmerksamkeit meiner Umwelt auf mich zu ziehen und ich muss noch nicht mal viel dafür tun.

Mitleid ist leicht verdient

Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen ist oft mit Anstrengung verbunden, Mitleid dagegen ist leicht hervorgerufen. Aber was macht Mitleid mit unserem Gegenüber? Wir verpflichten diese Menschen sanft, verständnisvoll zu sein. Arbeiten werden uns abgenommen und wir können uns zurücklehnen und uns verwöhnen lassen. Mitleid ist oft auch ein Massenphänomen, ein vermeintlich schwacher Staat oder Mensch wird angegriffen, bestes Beispiel ist der Ukrainekonflikt und sofort empfinden wir Sympathie und Mitleid mit den Betroffenen, ungeachtet der Möglichkeit der Mittäterschaft. Wir eilen zu Hilfe und stellen unser Mitleid zur Schau. Angesichts schrecklicher Bilder, Videos und Aussagen sind wir oft nicht mehr in der Lage objektiv zu urteilen. Wir sehen oft nur noch schwarz und weiß, Mitleid mit dem einen und Wut über den anderen. Mitleid mit Randgruppen der Gesellschaft, die oft gar keine sind, sondern sehr bewusst dieses menschliche Gefühl für sich zu nutzen wissen. Mitleid kann beliebig erzeugt werden, mit entsprechenden Bildern und Worten. Jeder Journalist und Werbefachmann weiß diese bewusst einzusetzen. Dünne Ärmchen von Babys, schwache alte Menschen, fliehende Menschen, Unfallopfer und Flüchtlinge, um nur einige zu nennen, werden schickt vermarktet um Spenden, Waffen oder Aufmerksamkeit zu erhalten. Wo diese Dinge dann landen ist uns egal, Hauptsache wir haben unser Gewissen beruhigt und Mitleid zum Ausdruck gebracht. Das funktioniert auch mit Eisbären, die im offenen Meer treiben und weit und breit ist, keine Eisscholle zu sehen, oder die täglichen schlechten Nachrichten aus aller Welt, die wir jede Stunde genießen dürfen. Zum Glück denken wir gibt es Menschen, die sich kümmern um unser gesellschaftliches Mitleid. Mitleid ist leicht, selbst bestimmtes Leben weitaus schwieriger. 

Ich brauche kein Mitleid, aber die unendlich schöne Liebe meines Partners, die selbstlose Hilfe meiner Mitmenschen zum Wohle von uns allen, das ist hilfreicher als jedes Mitleid. Der Ausruf „oje, schau mal, die armen Menschen“ hilft niemanden. Mitgefühl ist ein schönes Gefühl, wenn es ehrlich und ohne Hintergedanken in unserem Herzen wächst. Nicht um unser Gewissen zu beruhigen und nicht um mein Gegenüber zu einer Handlung zu zwingen. Brauchen wir Mitleid - ich denke nicht. Gelebte Liebe zu allem, was ist, ein ehrlicher Blick hinter die Kulissen ersetzt Mitleid durch das ehrliche Gefühl das Geben und Nehmens. 

Niemand soll mit mir oder meinetwegen LEIDEN.

Mitgefühl dagegen ist leichter und mit weniger Verantwortung verbunden - ich fühle mit dir, sagt meinem Gegenüber „ich bin da, wenn du mich brauchst“. Wir sollten uns alle fragen, wie oft wir im Namen von Mitleid erpresst werden oder selbst zum Erpresser werden. 

Oft genug manipulieren wir unsere Umwelt.

Eine Absage oder Krankmeldung, wenn wir diese mit schmerzverzerrter Stimme vortragen, ist uns das Mitleid sicher. Sagen wir dagegen „ich habe heute einfach keine Lust zu arbeiten“ wird uns sicher die Kündigung bescheren. Aber der Ausgangspunkt ist derselbe - ich habe keine Lust.


Bevor wir also Mitleid empfinden mit etwas oder jemanden, sollten wir uns fragen:

Wer profitiert?

Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt, wen versuche ich mit meinem Leid zu erpressen?